Portrait-Projekt 2020: Faye

Ein freies Projekt umzusetzen, erfordert natürlich immer zunächst eines: freie Zeit! Da diese gerade Anfang des Jahres bei mir nicht so richtig im Überfluss da war, wollte ich den zweiten Portrait-Termin für mein Projekt rein mit Tageslicht umsetzen. Also keine wilden Aufbauten mit zig Blitzen, Lichtformern und Lampenstativen – ganz einfache Portraitfotografie mit einer Kamera, einer Festbrennweite und maximal einem Diffusor, fertig. Das war mein Plan mit Faye…

Ich beginne Portraitshootings gerne mit einfachen Dingen – für das Modell wie für mich als Fotograf. D.h. eine Pose, in der sich das Modell wohlfühlt, einen etwas engeren Ausschnitt, damit wir beide nicht auch noch auf Handhaltungen und Fußstellungen achten müssen und ein weiches Licht mit großem Abstand. Warum? Der große Abstand zur Lichtquelle führt zu geringem Lichtabfall mit zunehmender Distanz und (in den meisten Fällen) zu einer flächigeren Ausleuchtung. Beides hilft dem Modell, sich einigermaßen frei zu bewegen. Bringe ich die Lichtquelle hingegen sehr nahe heran, kann es schnell zu großen Belichtungsschwankungen führen, wenn sich das Modell leicht nach vorne oder zurücklehnt. Solltet ihr die Möglichkeit haben, euer erstes Set vorab auszutesten, also BEVOR das Modell da ist, entspannt das die Lage besonders am Anfang sehr.

Für das erste Setting des Shootings entschied ich mich für einen großen Esstisch, der an der Fensterfront stand. Dort konnte ich Faye gut ansetzen (auf den Tisch setzen, Füße auf den Stuhl) und hatte eine geschätzt 4m x 1,2m große Lichtquelle direkt vor ihr. Vorab hatte ich Faye noch gebeten, dunkle Kleidung zu tragen, damit ihr Gesicht am stärksten aus dem Bild hervorsticht. Somit waren alle oben genannten Kriterien erfüllt und ich konnte anfangen zu fotografieren. Meine Kamera-Einstellungen waren hierbei Blende 1.4, damit der Hintergrund schön unscharf wurde, 1/200s und ISO 320, fotografiert hatte ich mit meiner Fujifilm X-T3 und dem hervorragenden Fujinon 35/1.4. Schon nach dem ersten Bild war mir aber klar, dass die Balkonwand rechts von mir zu viel Licht in den Raum reflektierte. Daraufhin stellte ich einfach meinen Aufheller so vor die Balkontüre, dass dieser die helle Wand dahinter verdeckte und somit das reflektierte Licht blockte. Hier seht ihr den ersten Frame, dann die Positionierung des Aufhellers/Lichtschluckers und dann die daraus resultierte Lichtstimmung:

Nachdem wir so einige Bilder im Kasten hatten, bat ich Faye, sehr nahe an die Scheibe zu kommen, praktisch dorthin, wo ich vorher stand. Für das nächste Set an Aufnahmen wollte ich nämlich durch die Scheibe hindurch fotografieren. Im Kopf hatte ich so etwas:

Aber gehen wir auch hier wieder eins nach dem anderen vor: Wenn man durch eine Scheibe hindurch fotografieren möchte, ist natürlich die Idee, dass man die Scheibe sieht, sonst macht das ganze Konzept natürlich keinen Sinn… 🙂 D.h. wir brauchen Reflexionen in der Scheibe, wollen aber dennoch natürlich die wichtigen Features des Modells sehen. “Einspiegelung” ist hier das Schlüsselwort! Wenn wir gerade vor einem Fenster stehen und wir oder das Haus hinter uns wird von der Sonne angestrahlt, spiegeln wir uns in der Scheibe. Stehen wir hingegen im Schatten  oder im Dunklen, gibt es nichts, was sich spiegeln könnte. D.h. heißt also, dass man solch einen Winkel finden muss, dass sich eine eher dunkle Stelle vor dem Modell einspiegelt (und somit keine Reflexion hinterlässt). Im folgenden Bild hatte ich so lange nach einem passenden Winkel gesucht, so dass wenigstens die Augen kontrastreich durch die Scheibe zu erkennen waren – hier kommt der “Blick durch die Scheibe” eindeutig herüber, lenkt natürlich aber auch von den Gesichtszügen etwas ab:

Um das erste “Durch die Scheibe”-Foto und das folgende zu fotografieren, stellte ich nun wieder meinen Aufheller mit der schwarzen Seite rechts neben mich, so dass dieser einen relativ klaren Blick auf Faye zuließ. Ganz aushebeln wollte ich die Reflexionen allerdings auch nicht, d.h. in einem solchen Falle ist immer etwas Spielerei angesagt. Zu guter Letzt wollte ich die Scheibe und die melancholische Stimmung noch etwas mehr unterschreichen und sprühte mit einer Sprühflasche einige Tropfen auf die Scheibe um Fayes Gesicht herum, fertig:

Wenn man so schönes natürliches Licht findet, macht die Arbeit unglaublich Spaß, da man nicht groß mit Equipment herumhantieren muss, sondern sich voll und ganz auf sein Gegenüber einlassen kann! Daher eignet sich solch eine Herangehensweise gut für Einsteiger in die Menschenfotografie – Technik ist nebensächlich, der richtige Umgang mit dem Modell ist der entscheidende Punkt! (…nicht, dass ich nicht auch hier und da mal größere Studioaufbauten mag…)
Parallel zu den Blogbeiträgen baue ich auch die Galerie mit den Aufnahmen des Projektes auf: Portrait-Projekt 2020

Viele Grüße
Martin

 

Benutztes Equipment (affiliate links):
Fujifilm X-T3
Fujinon XF 35/1.4
Aufheller/Abschatter/Diffusor

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