Im letzten Beitrag aus der Bildgestaltungsreihe nahmen wir uns die Drittelregel vor. Diese ist allerdings nur eine Vereinfachung eines viel älteren Gestaltungsprinzips, nämlich unseres heutigen Themas: der Goldene Schnitt. Eigentlich ist die Drittelregel sogar eine Verinfachung oder Annäherung an gleich mehrere Gestaltungsraster – aber dazu mehr in einem späteren Beitrag.
Alle haben von ihm gehört – wenige kennen ihn
Wahrscheinlich haben die meisten von uns den Begriff des Goldenen Schnitts schon einmal gehört. Sei es in der eigenen Schullaufbahn oder im Zuge unseres Hobbys, der Fotografie. In vielen Kursen und meinem Berufsschulunterricht habe ich aber immer wieder bemerkt, dass dennoch die meisten Leute nicht wirklich genau wissen, was es damit auf sich hat.
Viele kennen den Goldenen Schnitt nur als Gestaltungsraster, sehr ähnlich unserer bereits kennengelernten Drittelregel. Auf die Frage aber, woher der Name Goldener „Schnitt“ kommt, bekomme ich normalerweise kaum eine Antwort…
Dieser Goldene „Schnitt“ deutet auf eine Verhältniszahl hin – eine Verhältnis zwischen zwei Dingen, das als besonders schön und harmonisch empfunden wird. Warum? Darüber streiten sich die Geister, aber Fakt ist, dass dieses Verhältnis (zumindest annähernd) enorm häufig in der Natur vorkommt. Ich persönlich schätze, dass wir genau deshalb dieses Verhältnis mögen, weil wir es so oft sehen und sich das Auge daran gewöhnt hat.
Wir finden diesen Goldenen Schnitt bzw. diese Verhältniszahl angenähert z.B. in Sonnenblumen, Efeublättern, im Steigungsverhältnis von Schneckenhäusern oder unseren menschlichen Proportionen (siehe da Vincis „Mann von Vitruv„): Kinn bis Auge im Verhältis zu Auge zu Oberkante Kopf, Füße bis Bauchnabel im Verhältnis zu Bauchnabel bis Oberkante Kopf usw….
- Teilstrecken im Goldenen Schnitt im menschlichen Körper
In Zahlen ausgedrückt ist dieses Verhältnis 1:1,618. So können wir z.B. ein als harmonisch empfundenes Seitenverhältnis berechnen: Die lange Seite des Rechtecks muss also um das 1,618fache länger sein als die kurze Seite. Wenn wir an das fast schon übliche 2:3-Seitenverhältnis der meisten Kamerasensoren denken, liegen wir da schon ziemlich nahe dran: 1:1,5. Der klassische 10×15-Abzug: 1:1,5. Meist wird der Goldene Schnitt in der Fotografie jedoch benutzt, um ein Gestaltungsraster ähnlich der Drittelregel anzulegen.
Man teilt jede Seite unseres rechteckigen Sensors in zwei Teilstrecken, bei denen sich die längere zur kürzeren verhält, wie die Gesamtstrecke zur längeren: b:a = (a+b):b. Keine Sorge, es ist zwar eine mathematische Formel, aber bitte noch nicht gleich wegrennen…
Für alle, die wie ich kein wirkliches Faible für Mathematik haben, kann man den Goldenen Schnitt auch noch geometrisch konstruieren, was noch weitere Gestaltungshilfen bietet. Man legt zunächst zwei Diagonalen an, dann aus jeder Ecke eine 45°-Gerade. In den Schnittpunkten der Diagonalen und der 45°-Geraden liegen auch die Schnittpunkte des Goldenen Schnitts. In späteren Beiträgen werden wir uns noch mehr um diese Konstruktionslinien kümmern – also nicht gleich wieder vergessen. 🙂
Der Vorteil der Konstruktion zeigt uns außer den horizontalen und vertikalen Teilungslinien nun auch noch die Diagonalen und 45°-Geraden, an denen ebenfalls Motivlinien ausgerichtet werden können.
Und wer es sich ganz einfach machen möchte, kann sich die Drittelregel vorstellen und dann das mittlere Rechteck etwas verkleinern, so dass die alle Teilungslinien etwas in Richtung Bildmitte rutschen. Nicht genau, aber einfach…
Der Goldene Schnitt in Anwendung
Genau wie bei der Drittelregel können nun entweder Motivlinien entlang des Gestaltungsrasters positioniert oder bildwichtige Punkte auf die Schnittpunkte der Gestaltungslinien gelegt werden.
Selbstverständlich geht das auch im Hochformat:
Arbeitet man mit einem Seitenverhältnis, das nicht 2:3 ist, muss man das Raster natürlich dem jeweiligen Seitenverhältnis anpassen:
Wirklich exakt ist dieses Gestaltungsraster – wie auch die kommenden – nur für ein bestimmtes Seitenverhältnis anzulegen. Wählen wir nachträglich einen anderen Zuschnitt, reicht es nicht, das Raster einfach zu transformieren – es muss erneut angelegt werden.
Als Gestaltungsraster bietet der Goldene Schnitt genau wie die Drittelregel eine sehr einfache Gestaltungshilfe, die allerdings auch schnell zu viel werden kann. Komponiert man seine Bilder NUR anhand dieses Rasters, kehrt schnell Eintönigkeit ein. Daher ist es absolut sinnvoll, sich auch noch mit weiteren Gestaltungshilfen und vor allem den vielen vorhandenen Gestaltungsmitteln auseinanderzusetzen.
Wie man ein Hauptproblem der hier gezeigten Anwendung des Goldenen Schnitts umgehen kann, zeige ich euch im nächsten Beitrag dieser Gestaltungsreihe.
Martin